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In einer der ersten Vorlesungen in Psychologie erzählte der Professor, „alle Menschen sind faul.“

Im Hörsaal ging ein Raunen umher, bis schließlich ein Student seinen Arm hob. Der Professor schaute über seinen Brillenrand und sagte, „Ja, bitte?“

Daraufhin verschränkte der Student seine Arme, fing an zu grinsen und fragte schließlich: „Sind Sie etwa auch faul?“

Die plötzlich einkehrende Ruhe wurde nur von einem gelegentlichen Kichern unterbrochen, und alle schauten den Professor an.

Der verharrte in stoischer Ruhe und entgegnete dann: „Selbstverständlich. Wenn ich kein Geld dafür bekommen würde, mir so überflüssige Fragen wie von Ihnen anzuhören, wäre ich heute Morgen nicht mal aufgestanden.“


Seit immer haben Menschen unzählige Theorien über das Wesen der Gesellschaft und die Beweggründe menschlichen Verhaltens entwickelt. Die meisten davon beruhen zumindest teilweise auf der Vorstellung von rationalen menschlichen Akteur:innen, die daran arbeiten, Ergebnisse für sich selbst, für ihre Gemeinschaft oder für die Gesellschaft zu erzielen.

Genauso wird in vielen Ratgebern geschrieben, wie wir erfolgreich Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen können, und dabei wird auch gerne angenommen, dass Menschen irgendwie rational seien. An sich relativ intelligent, meistens normal, und all das.

Hahaha.


In seinem Buch Schnelles Denken, langsames Denken stellt Daniel Kahneman die These auf, dass wir zwei Systeme der Informationsverarbeitung haben, um Entscheidungen zu treffen:

  1. „System 1“ ist automatisch, das schnelle Denken. Das ist unsere erste Reaktion, bei der unser Verstand ohne Anstrengung sofortige Assoziationen herstellt. Es ist intuitiv und beruht auf Eindrücken; das Ergebnis von Verbindungen, die wir durch unzählige frühere Erfahrungen aufgebaut haben.
  2. „System 2“ ist das langsame Denken. Der Teil unseres Gehirns, den wir nutzen, wenn wir ganz bewusst Aufgaben lösen (wollen) und wir sorgfältig logische Schritte abarbeiten, um zu einem Ergebnis zu gelangen. Diese Art des Denkens ist viel Arbeit. Und das ist anstrengend.

Kahneman zufolge beinhaltet unser tägliches Denken, egal wie „intelligent“ wir sind, eine Interaktion zwischen diesen beiden Systemen, wobei System 2 die unreflektierten Annahmen von System 1 etwas überwacht, während wir uns in der Welt bewegen, und nur selten seinen Beitrag dazu leistet. Wie zum Beispiel, wenn wir gedanken- und mühelos mit dem Fahrrad fahren. Und die meiste Zeit funktioniert das ganz gut.

Wir gehen von unseren Annahmen, Eindrücken und Vorurteilen aus und stützen unsere Entscheidungen und Meinungen darauf, ohne dass wir uns auf sie verlassen. Selbst etwas, das unsere Grundannahmen infrage stellt, lässt sich in der Regel mit einer kleinen Anstrengung durch System 2 „wegdiskutieren“.

Und der Aufwand, der nötig wäre, um ständig im System 2 zu denken, wäre untragbar und dazu die meiste Zeit ohnehin nutzlos. Unsere Annahmen und Entscheidungen mit der gleichen Sorgfalt zu prüfen, die wir einer Steuererklärung zuteil kommen lassen, erfordert großen Aufwand – ain’t nobody got time for that. Für die meisten Entscheidungen und auf die meisten Fragen gibt es ohnehin keine einzige „richtige“ Antwort.

Außerdem hat Faulheit, auch wenn sie von vielen als Charakterschwäche angesehen wird (können und wollen ist ein anderes Thema), unzählige evolutionäre Vorteile, wie ein Blick ins Tierreich zeigt. Meistens machen die alle nicht viel. Ressourcen, und damit Energie, sind nun mal in der Regel begrenzt.

Vielleicht spart der Mensch deshalb Energie, und er tut gerade genug, um seine unmittelbaren Bedürfnisse zu befriedigen, und dass das eine bessere Überlebensstrategie sei, als die Anstrengung, die eine längerfristige Planung für ein abstraktes Ziel erfordert. Jagen und Sammeln gegenüber dem Bauen von Städten oder dem Retten der Welt und so.

Gerade im 21ten Jahrhundert ist unmittelbare Bedürfnisbefriedigung keine wirklich gute Strategie, eher im Gegenteil. Die Menschen, die darauf „hereinfallen“, sind allerdings nicht „dumm“. Sie sind halt gehirnbautechnisch bedingt „faul“: Es ist unglaublich schwer für uns, von unseren urzeitlichen Impulsen, wie eben Energie sparen zu wollen, loszukommen. Deshalb können wir davon ausgehen, dass die meisten Menschen, die wir treffen, sehr kurzfristig handeln und denken, nur ist das kein Vorwurf:

Es ist sehr leicht, wenn wir im Supermarkt in der Schlange stehen und unser soziales Umfeld betrachten müssen, zu glauben, dass alle anderen Menschen um uns herum „dumm“ und „faul“ seien. Dass denken sie allerdings auch von uns. Und es stimmt, in Summe: Wir sind es tatsächlich einfach alle, so an sich. Auch ich.

Und auch du.