Der Preis der Antwort

Du siehst die Kennzahlen. Sie sind exzellent. Der Output deiner Junior-Ebene hat sich in sechs Monaten verdoppelt. Recherchen, Analysen, erste Entwürfe – alles wird mit einer neuen, fast unheimlichen Geschwindigkeit geliefert. Doch in den Gesprächen mit den jungen Talenten hörst du immer öfter den Satz: „Ich habe die KI gefragt.“ Der Prozess des mühsamen Suchens, des kritischen Verifizierens einer Quelle, des strategischen Verwerfens und der unerwarteten Entdeckung – er wird ausgelassen.

Was wie ein reiner Effizienzgewinn aussieht, ist der Beginn einer systemischen Expertise-Lücke. Ein Phänomen mit der stillen Wucht des demografischen Wandels: eine langsam wachsende Leerstelle im Kern von Organisationen und ganzen Branchen. Wir optimieren die Gegenwart auf Kosten unserer Fähigkeit, die Zukunft zu gestalten.

Expertise ist kein Wissen, das wir abrufen. Sie ist das sedimentierte Ergebnis unzähliger Zyklen aus Versuch, Irrtum und Korrektur. Dieses anstrengende Trainingsgelände ersetzen wir durch einen Antwortautomaten.

Der Impuls dahinter ist rational und folgt einer kalten Logik: Personalkosten reduzieren. Eine Junior-Position, deren sichtbare Kernaufgaben ein Algorithmus erledigt, wird gestrichen. Aus der Perspektive der Quartalsbilanz und des erhofften Wettbewerbsvorteils ist dieser Schritt nicht nur konsequent, sondern zwingend.

Dieses Manöver macht die unsichtbare Funktion der ersten Berufsjahre zum Kollateralschaden. Hier wird die Entwicklung zukünftiger Meisterschaft gegen eine sofortige Einsparung getauscht. Die prägenden Jahre, in denen das Gehirn lernt, komplexe Muster zu erkennen und ein intuitives Gespür – ein Fingerspitzengefühl – zu entwickeln, werden aus dem System heraus optimiert. Die Fähigkeit, horizontal zu assoziieren, mag durch die Werkzeuge wachsen. Die Fähigkeit zur vertikalen, tiefen Durchdringung eines Problems verkümmert.

Die strategische Frage ist nicht, ob wir Kosten sparen, sondern welchen Preis wir für diese Einsparung zahlen. Es ist die Frage, wie eine Organisation ohne tiefes, menschliches Gespür auf unvorhersehbare Krisen und Chancen reagieren soll. Wie sie navigiert, wenn die Karten der Vergangenheit wertlos werden.

Wenn ein junger, ambitionierter Mensch auf die Frage nach seiner eigenen, einzigartigen Synthese antwortet: „Das Beste, was ich liefern kann, ist der Output eines LLM“, dann ist das keine persönliche Bankrotterklärung. Es ist das logische Ergebnis eines Systems, das den Anschein von Kompetenz über den mühsamen Weg dorthin stellt. Das zu benennen, ist kein Kulturpessimismus, sondern notwendige Diagnostik. Die Absicht ist, die Krankheit zu erkennen, bevor sie chronisch wird.

Wir wollten die Produktivität steigern. Was wir riskieren, ist eine Generation von brillanten Bediener:innen, die nie gelernt hat, das Instrument selbst zu spielen.


Vielen Dank an Patrick Riedl für das Gespräch und die Inspiration zu diesem Post.