FN 37: Die Doktrin der gefluteten Zone
Feldnotiz
Wir leben nicht in einem Zeitalter der Falschinformation. Das ist eine zu simple Diagnose. Wir sind Ziel eines Manövers, dessen operative Doktrin von Steve Bannon in einem Satz zusammengefasst wurde: „Die wahre Opposition sind die Medien. Und der Weg, mit ihnen umzugehen, ist, die Zone mit Scheiße zu fluten.“
Das ist mehr als ein zynischer Slogan. Es ist eine operative Doktrin.
Die Bannon-Doktrin geht über klassische Propaganda hinaus, die eine einzelne Lüge etablieren will; ihr Ziel ist weitaus subversiver. Sie ist ein Denial-of-Service-Angriff auf unsere Fähigkeit zur Realitätsprüfung. Das Manöver zielt nicht darauf ab, dich von einer Unwahrheit zu überzeugen. Es zielt darauf ab, dich durch die schiere Masse an widersprüchlichen Informationen, Halbwahrheiten und Lärm so zu zermürben, dass du zu dem Schluss kommst, die Wahrheit sei prinzipiell unerkennbar.
Das Ergebnis ist kein Unglaube, sondern epistemische Resignation. Ein selbstauferlegter Nihilismus als Schutzmechanismus vor kognitiver Überlastung.
Diagnose: Angriff auf die Orientierung
Um die Effektivität der Doktrin zu verstehen, müssen wir sie als das analysieren, was sie ist: ein Manöver aus dem Repertoire der psychologischen Kriegsführung. Sie attackiert gezielt das, was John Boyd die mentale Domäne nannte – den Ort, an dem wir Orientierung gewinnen. Ihr Kernziel ist die Zerstörung unserer OODA-Loop.
- Observe (Beobachten): Du nimmst eine Flut von Informationen wahr.
- Orient (Orientieren): Du versuchst, die Informationen in dein Weltbild zu integrieren und zu bewerten. Genau hier schlägt die Doktrin zu. Die Flut ist so konzipiert, dass sie deine Fähigkeit zur Orientierung kurzschließt. Dein mentales Betriebssystem zur Sinnstiftung, das auf Kohärenz und Logik angewiesen ist, kapituliert.
- Decide (Entscheiden): Ohne Orientierung ist keine rationale Entscheidung möglich.
- Act (Handeln): Ohne Entscheidung folgt Lähmung.
Dieser Zustand permanenter Desorientierung zerstört die Möglichkeit eines übergeordneten, rationalen Diskurses. Der Glitch
liegt in unserem veralteten mentalen Modell: Wir versuchen, eine systemische Manipulation der Informationsumgebung mit Werkzeugen erster Ordnung wie Faktenchecks zu lösen. Die Bannon-Doktrin aber instrumentalisiert gerade die alten journalistischen Normen – „Objektivität“, „beide Seiten hören“ –, um das System mit Lärm zu fluten.
Manöver: epistemische Souveränität
Wie navigieren wir in einem gefluteten Raum? Nicht, indem wir versuchen, das Wasser zu stoppen. Sondern indem wir lernen, zu schwimmen. Die Antwort auf einen Denial-of-Service-Angriff ist nicht, die Bandbreite endlos zu erhöhen, sondern einen besseren Filter zu installieren.
Die strategische Antwort fängt dort an, wo der Zynismus endet. Sie erkennt die Bannon-Doktrin als das, was sie ist – eine Waffe –, entscheidet sich aber bewusst gegen die Resignation. Sie nutzt das Wissen über den Angriff, um die eigene Verteidigung zu härten. Das ist die Installation von Agency
.
- Reduziere die Angriffsfläche: Du musst nicht jede Schlacht im Informationskrieg mitkämpfen. Radikale Informationshygiene ist kein Eskapismus, sondern eine strategische Notwendigkeit. Definiere klar, welche Informationen für deine Handlungsfähigkeit relevant sind, und ignoriere den Rest.
- Optimiere den Filter, nicht den Input: Anstatt mehr zu konsumieren, kuratiere deine Quellen unbarmherzig. Die entscheidende Frage wechselt von „Ist das wahr?“ zu „Ist diese Quelle konsequent darauf ausgelegt, mein Verständnis zu verbessern, oder meinen Orientierungssinn zu stören?“. Vertrauen wird hier zu einer Funktion von wiederholter, nachweisbarer Verlässlichkeit.
- Wechsle das Spielfeld: Der Versuch, Akteur:innen zu „überzeugen“, die im Modus der Bannon-Doktrin operieren, ist sinnlos. Ihr Ziel ist nicht der Austausch von Argumenten, sondern die Zerstörung des Spielfelds selbst. Das wirksame Manöver ist, das Spiel zu wechseln: von der öffentlichen Debatte zur Schaffung von handlungsfähigen, resilienten Netzwerken, die auf einer Basis von geteiltem Vertrauen und kalibrierter Realität operieren.
Eine Demokratie mag auf einem gemeinsamen Verständnis von Realität beruhen. Aber dieses Verständnis wird nicht durch Appelle wiederhergestellt. Es wird von Akteur:innen geschmiedet, die die Verantwortung für ihre eigene epistemische Souveränität übernehmen – auch und gerade dann, wenn die Zone geflutet ist.