PR 20: Protokoll der Mimesis

Protokoll

Das letzte Projekt, die letzte Beförderung, der letzte große strategische Schwenk – woher kam dein Wunsch danach wirklich?

Wir operieren unter einer Annahme, die so fundamental ist, dass wir sie selten hinterfragen: Unsere Wünsche seien originär. René Girard hat die Architektur dieser Annahme offengelegt; Luke Burgis nennt sie die „romantische Lüge“. Die Realität ist weniger romantisch und weitaus systemischer. Unsere Wünsche sind größtenteils imitiert. Wir wollen, was andere wollen, weil andere es wollen.

Das ist keine psychologische Schwäche. Es ist ein fundamentales Protokoll im menschlichen Betriebssystem – ein neutraler, hocheffizienter Antrieb zur Koordination. Der Glitch entsteht, wenn dieses Protokoll unbemerkt im Hintergrund läuft und wir seine Signale als unsere eigenen fehlinterpretieren. Der tiefsitzende Antrieb nach Zugehörigkeit macht uns für diese Ansteckung besonders empfänglich. Du nutzt nicht mehr das Protokoll, das Protokoll nutzt dich. Deine wertvollste Ressource – Lebenszeit – verbrennt für ein Ziel, das nicht deines ist.

Du kannst der Mimesis nicht ausweichen, aber du kannst lernen, mit ihrer Gravitation zu arbeiten. Die zentrale Operation ist die Kalibrierung des eigenen Systems auf die Unterscheidung zwischen „dünnen“ und „dicken“ Wünschen.

  • Dünne Wünsche sind flüchtig, hochgradig mimetisch und reaktiv. Sie entstehen aus dem Rauschen der Umgebung, aus dem, was andere als begehrenswert signalisieren. Sie sind das Ergebnis einer geringen Signal-Latenz in einem hyper-kompetitiven Umfeld – einem Freshmanistan, wie Burgis es nennt, in dem jeder jeden spiegelt.
  • Dicke Wünsche sind über lange Zeiträume kultiviert. Sie sind das Ergebnis eines langen Prozesses der Unterscheidung und Integration. Ihre Modelle sind bewusst gewählt und entsprechen einem inneren, kohärenten Wertesystem.

Die Fähigkeit zur Unterscheidung erfordert die präzise Vermessung des Terrains, in dem du operierst. Zwei Metriken sind dafür entscheidend:

  1. Signal-Latenz: Wie schnell und klar ist die Rückkopplungsschleife zwischen deiner Aktion und einem relevanten Ergebnis? Lange, verrauschte Schleifen sind das Kennzeichen von Freshmanistan. Sie belohnen Performance und Politik, nicht Substanz.
  2. Spiel-Logik: Dient der Wettbewerb der Eliminierung von Mitspieler:innen (finite game) oder der Fortsetzung und Ausweitung des Spiels (infinite game)?

Fähige Akteur:innen stellen sich den mimetischen Kräften, reiten die Welle und nutzen ihre immense Energie, um sich und andere auf Ziele auszurichten, die über das rein Persönliche hinausgehen. So wird das unbewusste Muster zu einer operativen Doktrin.