FN 108: Verlasse das Spielfeld

Feldnotiz

Du postest. Du optimierst. Du kämpfst um jeden Prozentpunkt Reichweite. Die Metriken steigen, aber die Wirkung stagniert. Du rennst schneller, nur um an Ort und Stelle zu bleiben, während sich die Gemüter aufhitzen und sporadisch explodieren. Das ist kein Versagen deiner Taktik. Es ist ein Feature des Systems.

Das System – die Plattform – selbst ist eine Falle. Ein energiearmer Zustand, eine komfortable Falle. Dein innerer Glitch liebt das. Er optimiert für Bequemlichkeit, nicht für Souveränität.

Die Bequemlichkeit ist als Droge gestaltet, die deine Aufmerksamkeit verfeuert. Sie erzeugt eine systemische Kopplung, die unsichtbar bleibt, bis die Plattform ihre Regeln ändert. Du bist nicht Nutzer:in. Du bist das genutzte Gut. Deine Aufmerksamkeit und deine emotionalen Höhen sind dafür der Treibstoff.

Ein Werkzeug hingegen ist eine bewusste Investition von Energie. Es erfordert Kompetenz und dient dem Operator. Eine Plattform domestiziert ihn. Die Unterscheidung liegt in der Wirkung: Ein Werkzeug steigert deine Wirksamkeit. Eine Plattform deine Abhängigkeit.

Diese Dynamik hat Cory Doctorow als Enshittification diagnostiziert. Die Ursache dieser Prozesskette ist eine Politik, die Monopole fördert. Sie führt dazu, dass Plattformen ihre Nutzer:innen erst hofieren, dann an Geschäftskunden verraten und schließlich alle ausbeuten, um den gesamten Wert für sich zu extrahieren.

Die Dynamik ist eskaliert. Die Arenen sind keine neutralen Marktplätze mehr. Sie sind zu Operationsgebieten in einem Kampf um Wahrnehmung geworden, finanziert von Akteur:innen, die deine Realität formen wollen. Die unsichtbare Hand des Algorithmus gehört oft einem Milliardär mit klarer ideologischer Agenda. Das von Naomi Klein beschriebene Doppelgänger-Phänomen, die Verzerrung und Polarisierung von Identitäten, ist ein Feature dieser Architektur.

Die Pathologie ist rekursiv: Der Versuch, das Problem der Reichweite mit den Werkzeugen der Arena zu lösen, verstärkt die Abhängigkeit. Jeder Klick, jeder Post, jede optimierte Überschrift macht dich zu einem besseren Treibstoff. Deine Lösung wird Teil des Problems. Du dienst anonym in einer Aufmerksamkeitsfabrik, deren Aufseher deine Anstrengungen verhöhnen, während sie plattformtreue Akteur:innen erhöhen und deren soziales Kapital als Köder auslegen.

Die Rechtfertigung, man müsse die Arena betreten – für Community, Protest, Sichtbarkeit –, ist die raffinierteste Falle des Systems. Sie spiegelt die Illusion wider, ein:e wichtige:r Akteur:in zu sein, wie es Cal Newport formuliert. In Wahrheit bist du nur ein weiterer wütender Geist in einer Maschine, die von Wut lebt.

Der Operator betritt keine Arena, deren Physik darauf ausgelegt ist, ihn zu zersetzen. Er versucht nicht, ein vergiftetes Spiel zu gewinnen.

Er verlässt das Spielfeld.

Das ist ein Akt der Souveränität, die Weigerung, an der Zerstörung des zivilen Diskurses teilzunehmen. Unter diesen Umständen die einzig verantwortungsvolle Handlung.

Dein eigenes Stadion zu bauen – deine Website, dein Newsletter, deine direkten Kanäle – ist kein Idealismus. Es ist die operative Notwendigkeit, eine souveräne Basis zu sichern. Eine Forward Operating Base in einer feindlichen Umgebung. Sie garantiert kein Publikum, aber sie garantiert deine Regeln. Dein Spiel. Deine Agency.

Der Glitch wird argumentieren, das führe zur Isolation. Er verschweigt: Die wahre Isolation ist das Brüllen in der kakophonischen Echokammer einer Plattform, die dich von tiefem Dialog abschneidet.

Dein nächster Zug ist eine Entscheidung.

Baust du dein Stadion oder demontierst du dich selbst in der Arena?