FN 111-2: Der vierte Pfad (Teil 2 von 2)
Feldnotiz
Die Analyse in der letzten Feldnotiz endete mit der Frage nach der Güte der eigenen Modelle. Die schärfste Form dieser Frage ist der Gedanke, der die erste Analyse überhaupt erst provoziert hat:
Vielleicht ist es gar kein Rennen. Vielleicht ist die Geschwindigkeitsmessung defekt.
Szenario: Zwei interne Produkte, A und B, konkurrieren um Budget und Aufmerksamkeit. Die konventionelle strategische Debatte entfaltet sich entlang einer bekannten Achse.
- Option 1: A gewinnen lassen. Es hat die besseren Kennzahlen.
- Option 2: Auf B setzen. Das Team ist stärker.
- Der übliche Ausweg (Option 3): Die Synthese. Eine Taskforce, die Synergien prüft. Ein Kompromiss, der die Reibung institutionalisiert. Die freiwerdende Energie wird in internen Abstimmungen verbrannt, weg vom Markt.
Das ist die Falle des dreibeinigen Stuhls. Du glaubst, alle Optionen zu sehen, weil du die Wahl zwischen dem einen, dem anderen oder einer Kombination aus beidem hast. Die Intervention des Controllers
bricht diese falsche Sicherheit auf. Er führt eine neue Information ein, die den gesamten Kontext verschiebt.
Die neue Information lautet: Der Markt, auf dem A und B konkurrieren, wird in 18 Monaten nicht mehr existieren. Eine neue Technologie macht beide Ansätze obsolet.
Der vierte Pfad ist der Ausbruch aus diesem Referenzrahmen. Er lautet: Wir stellen die Entwicklung von A und B sofort ein. Alle Ressourcen werden auf das Projekt C konzentriert, das für den neuen Markt gebaut wird. Das ist ein kontrollierter Abriss, um Raum für den Neubau zu schaffen.
Doch selbst dieser vierte Pfad ist noch nicht das Ende des strategischen Raumes. Er ersetzt ein Spiel nur durch ein neues, profitableres. Die tiefste Form der Analyse stellt die ultimative Frage:
Ist unsere Aufgabe, das beste Produkt C zu bauen? Oder ist unsere Aufgabe, die Bedingungen zu schaffen, unter denen der Markt Produkte wie C selbst hervorbringen kann?
Der eine Weg schafft eine:n Gewinner:in in einem endlichen Spiel. Der andere schafft ein ganzes Ökosystem von fähigen Akteur:innen. Das ist der Sprung von der Strategie zur Doktrin.
Dieser Text ist die zweite von zwei Feldnotizen zum Thema Kontextuelle Asymmetrie.