Zwei reisende Mönche erreichten ein Dorf, in dem eine junge Frau darauf wartete, aus ihrer Sänfte zu steigen. Die Regenfälle hatten tiefe Pfützen gebildet, und sie konnte sich nicht über das Wasser hinübergehen, ohne ihre seidenen Gewänder zu verderben. Sie stand dort und schaute wütend und ungeduldig. Sie schimpfte mit ihren Dienern. Sie konnten das Gepäck, dass sie für sie hielten, nirgendwo ablegen, sodass sie ihr nicht über die Pfützen hinweghelfen konnten.
Der jüngere Mönch bemerkte die Frau, sagte nichts und ging vorbei. Der ältere Mönch setzte sie schnell auf seinen Rücken, transportierte sie über das Wasser und setzte sie auf der anderen Seite wieder ab. Sie bedankte sich nicht bei dem älteren Mönch, sondern schubste ihn nur aus dem Weg und ging weg.
Als die beiden Mönche ihren Weg fortsetzten, grübelte der junge Mönch und war etwas besorgt. Nach mehreren Stunden, unfähig, sein Schweigen zu halten, sprach er sich aus. „Die Frau dort hinten war sehr egoistisch und unhöflich, aber Sie haben sie auf den Rücken gehoben und getragen! Dann hat sie sich nicht einmal bedankt!“
„Ich habe die Frau vor Stunden abgesetzt“, antwortete der ältere Mönch. „Warum trägst du sie immer noch?“
Interpretation
Wir halten an etwas fest, weil es uns wichtig erscheint.
Manchmal warten wir jahrelang auf etwas, und wenn es nicht eintrifft, leben wir jeden Tag in Frustration. Manchmal ist es die eine Beziehung, die wir scheinbar nicht überwinden können – wir haben das Gefühl, dass dieser Mensch perfekt war, und es gibt keine Möglichkeit, jemanden zu finden, der besser ist als dieser Mensch –, und leben deshalb in Bedauern. Manchmal ist es eine Tragödie, die uns in Schmerz leben lässt. Manchmal ist es der Groll, den wir hegen, weil uns Unrecht widerfahren ist, und wir Gerechtigkeit wollen, und wenn sie nicht eintritt, wir mit Abneigungen und Bitterkeit leben.
Wir wissen, wie wichtig es ist, die Dinge loszulassen, die uns zurückhalten, aber warum ist es so schwer, loszulassen?
Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen. Es scheint einfacher zu sein, die Umstände auf Menschen, Ereignisse und Dinge zu schieben, als zu akzeptieren, dass wir falsch liegen.
Das ist verständlich, denn niemand will sich mit dem emotionalen Ballast des Loslassens auseinandersetzen, weil wir uns das Leid gar nicht erst herbei gewünscht haben.
Und obwohl wir die Auswirkungen der Vergangenheit auf unser Leben anerkennen und eingestehen sollten, nehmen uns unsere fortsetzenden Schuldzuweisungen, dass wir uns deshalb so fühlen, Macht.
Wenn du das also tust, gibst du die Kontrolle an etwas ab, das dir niemals helfen wird. Die Vergangenheit ist vorbei, und sie wird dich niemals heilen, egal wie verzweifelt du es willst.
Um loszulassen, solltest du akzeptieren, dass die Umstände der damaligen Zeit außer Kontrolle waren. Es gibt nichts mehr, als du hättest tun können, um die Situation zu ändern. Die Vergangenheit ist geschehen, und du solltest dich nicht bestrafen, indem du mit und durch diese Erinnerungen lebst. Das Trauma hat dir etwas genommen, und du solltest in deiner Heilung all das zurückgewinnen.
Loslassen bedeutet also, dass du dich mit den dir zur Verfügung stehenden Ressourcen stärkst und dich dazu entscheidest, das bestmögliche Leben jetzt zu leben.
Die meisten Menschen halten weiterhin fest, weil sie befürchten, dass das Loslassen bedeutet, dass sie vergessen müssen, was geschehen ist. Es ist gar nicht möglich, dass du dich ganz von etwas löst, dass einen so großen Einfluss auf dein Leben hat. Die Erinnerung an das Ereignis sollte dir jedoch keine bitteren Gefühle bescheren.
Loslassen bedeutet, dass du das Geschehene akzeptierst. Es bedeutet, dass du dein vergangenes Selbst in jeder Hinsicht akzeptierst. Und dann wirst du erkennen, dass du deine Vergangenheit und dein Leiden in etwas umwandeln kannst, dass dich deinen Träumen wieder nähern lässt.
Randbemerkung
Es kommt dich niemand retten.
Dieser Text entstand ursprünglich für die zweite Version der ÜBERSCHRIFTEN.