Den Metamodernismus gibt es nicht, sondern diverse Ausprägungen, die im Kern eigentlich nur gemein haben, dass der Metamodernismus versucht, die Moderne und Postmoderne konstruktiv zu synthetisieren – also im Sinne von Zusammenbringen –, während die Post-Postmoderne die nihilistische Aufarbeitung wäre und die Hypermoderne die (Abwärts-)Spirale des Neoliberalismus.
Den Exkurs mache ich deshalb: In den Strömungen des Metamodernismus gibt es vorwiegend die geisteswissenschaftlichen Aufarbeitungen (wie von Brent Cooper), die kulturformalen (ausgehend von Luke Turner, aktuell auch „trivialer“ wie von Greg Dember), die spirituellen (wie von Germane Marvel) und die entwicklungstheoretischen/„anthropologischen“ (wie von Hanzi Freinacht). Ich finde alle sehr spannend, und während Brent und weitere einen soliden differenzierten Untersatz bauen, und ich Luke Turner für mich als Künstler verstehe, favorisiere ich letztlich Hanzi, schon nur für den Vibe, für die Emotion, die die beiden so echt packend darstellen.
Die Hauptschnittmenge beim Metamodernismus zur Ich-Entwicklung ergibt sich latent und gleichzeitig praktisch daraus, dass viele der Notwendigkeiten, diese Dinge während des Prozesses selbst1 wahrzunehmen und zu gestalten, ein gewisses Maß und Verständnis der Postkonventionalität erfordern; je nach Strömung entsprechend wie im Modell der hierarchischen Komplexität (MHC), Lawrence Kohlbergs Theorie der Moralentwicklung oder eben in Modellen der Ich-Entwicklung. Metamodernismus, besonders der von Hanzi postulierte, gibt in dem Rahmen also den Vorschub, sich in einen postkonventionellen Kontext selbst zu bewegen oder wenigstens dahingehend zu nudgen.
Metamodernismus ist also keineswegs der Ansatz, um eine persönliche Reife zu kontextualisieren, dafür ein guter. Allerdings gibt es eben genauso gut(e) andere, weil sie sich alle vergleichend oder entsprechend im MHC bis hin zur Bedeutungskonstruktion abbilden lassen: David Chapman zum Beispiel hat den Weg über die Komplexisierung des Buddhismus gefunden, bei dem sich dabei auch diverse Schnittmengen zum spirituellen Teil der Metamoderne finden lassen, während Chapman dabei die Meinung vertritt, dass alles Nebel und Muster sind, und es keine diskreten Grenzen sondern Fluidität gibt.2
Bei Thomas Binder (latent Svenja Hofert) kommt die „Postkonventionalisierung“ aus dem praktischen Umgang mit Coaching-, Management- und Führungsaufgaben, wenn man so will, der „Brot und Butter“-Ansatz. Bei Dave Snowden aus der Komplexisierung, Beschreibung und auch Bewältigung aus komplexen, komplizierten und chaotischen Systemen.
Heinz von Foerster hat es „realphilosophisch“ geschafft, als er den Radikalen Konstruktivismus durch seinen ethischen Imperativ handlungsfähig gemacht hat, und so nur philosophisch, allerdings als Notwendigkeit und sehr später Entwicklung, und nicht als die Progression selbst, den parallelen Teil zur psychologischen Bedeutungskonstruktion geschaffen hat. Auch das kann ein Ansatz zur Ich-Entwicklung sein. Und es gibt noch viele weitere, die ich hier in der Kürze nur nicht erwähnt habe.
Jedenfalls ernsthaft und prinzipiell gemein ist bei allen, dass es vom konkret-individuellen („ich bin mein Umfeld“) zu einer Individualität („ich habe ein Umfeld“) und dann zu einer Prosozialität („wir sind und ich bin“) fortschreitet, und von daher als eines der wenigen „menschlichen Gesetze“ durchaus empirisch belegt anzunehmen ist, dass das eine maßgebliche Entwicklungsrichtung darstellt.
Trotzdem der Hinweis: Niemand muss sich (Ich-)entwickeln, denn entgegen dem neoliberalen Paradigma ist Entwicklung kein Selbstzweck – auch wenn sie postkonventionell betrachtet ein Selbstverständnis wird/ist –, sondern erst einmal nur der Ansatz, Herausforderungen durch „Vertikalisierung“ anzugehen (Badewannen-Prinzip). Bis zu einem gewissen Grad lassen sich die meisten Probleme genauso durch „Horizontalisierung“ lösen (vulgo: Fähigkeiten). Das schreibe ich deshalb, weil die Punkte im Leben, an denen wir merken, dass wir nicht mehr weiterkommen, als Lösungsansatz auch bieten können, „an sich okay, nur der Kontext nicht“, und dann ist die Herausforderung die Rekontextualisierung. Einige Menschen müssen durch Überforderung Regression betreiben.
Ebenfalls empirisch belegt entlang der Big Five ist, dass die vertikale Entwicklung durch den Faktor Offenheit maßgeblich beeinflusst wird. Das trifft auf die horizontale Entwicklung nicht so sehr zu. Und wenn ich mir so die letzten Jahre überlege, formt sich mir noch etwas dazu rund um erlernten Optimismus als wesentlichen Faktor, weil der Verantwortung und Prosozialität beinhaltet3. Denn: Je größer der Abstand und je weiter zeitlich und räumlich gedacht wird, und sich intrinsische Bedürfnisse externalisieren, desto mehr ist das inhärent die Marschrichtung. Es ist aber genauso niemandem vorzuwerfen, an sich zu denken. Denn das bedeutet eben nicht, egoistisch zu sein, weil alle Menschen in jedem Grad ihrer persönlichen Reife gütig und ethisch handeln können.
Wirklich, wirklich gemein und entscheidend für Entwicklung ist also: Was willst du vom Leben und was bist du bereit, dafür zu tun – und zu akzeptieren.
Dieser Post ist eine Aufarbeitung aus einem Gespräch mit Patrick Riedl – vielen Dank!