Momentan versuche ich, die frühen Internet-Vibes wiederzubeleben, für ein wieder optimistischeres und weniger wütendes WWW. Für mehr eigene Werkzeuge und weniger Plattformen. Für mehr offenen Austausch und weniger versteckte Interessen.
Letztlich, um das Internet zu dem Werkzeug werden zu lassen, dessen Rolle ihm in der romantischen Phase von Web 1.0 zugedacht wurde: um der Menschheit in ihrer Entwicklung zu helfen.
Ich weiß, Idealismus und so. Aber nicht Naivität.
Denn damit meine ich nicht, dass ich in Erinnerungen schwelge, Wolken anschreie, „damals“ für besser halte und die „gute alte Zeit“ zurückwünsche. Es ist mein Umgang mit dem aktuellen Zeitgeist und besonders mit dem, was Social Media mit uns macht – und wir deshalb nicht mehr machen.
Wir werden schließlich rund um die Uhr durch immer raffiniertere digitale Manipulationen, die von Marketing- und Aufmerksamkeitsexpert:innen erfunden wurden und die unsere persönlichen Daten gegen uns verwenden, zum Konsumieren oder bestimmten Meinungen gedrängt.
Dabei baden wir in einem Meer von Ablenkungen, die uns beruhigen, uns weniger aktiv und weniger lernwillig machen, was zu weniger Selbstwirksamkeit und Selbstachtung führt. Unsere Aufmerksamkeitsspanne wird gekapert und unsere emotionale Entwicklung gehemmt, weil wir uns immer ablenken, wenn irgendwelche unangenehme Gefühle aufploppen.
Das Internet, so wie es jetzt ist, hat eine Unzahl von untätigen Zuschauer:innen geschaffen, die immer andere Menschen beobachten und darum wetteifern, von anderen beobachtet zu werden. Oder wir werden in Pseudo-Beteiligungen hineingezogen, die ein Ersatz für reales Engagement sein wollen, mit einem Sammelsurium von Online-Trends und Verschwörungstheorien, denen wir frönen können. Gesellschaft wird destabilisiert, weil wir polarisiert werden und die Kontrolle über unsere Sinneswahrnehmung verlieren, über unsere Systeme für Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Wahrheit.
Und das ist nur eine ganz allgemeine Beschreibung, ohne in den Kaninchenbau von „wer“, „warum“ und „wie“ hinabzusteigen, von der sich immer mehr Menschen einig sind, dass es das einfach nicht sein kann und sollte.
Deshalb werden die Rufe nach ebendiesem Web-1.0-Vibe1 lauter, und in einem Teilausschnitt davon, dass das persönliche Bloggen wieder mehr Aufmerksamkeit bekommen sollte. Und das halte ich für eine großartige stellvertretende Sache, die prinzipiell jeder verfolgen kann, für ein notwendiges Ziel: Empowerment.
Denn vereinfacht ist die Sache an der Stelle die: Ein Werkzeug ist transparent. Eine Plattform ist es nicht. Du benutzt ein Werkzeug. Eine Plattform benutzt dich. Und in den 10 Jahren, vor denen ich das so das erste Mal formuliert habe, hat sich gezeigt, dass das nicht nur nicht in deinem Interesse ist2, dass Plattformen das tun, sondern sie ganz bewusst darauf abzielen, dich auszunutzen, dich zu manipulieren und inzwischen auf deinem Rücken zur Ausbeutung des gesamten Planeten und der Radikalisierung seiner menschlichen Bewohner massiv beitragen. Und das ist keine Übertreibung.
In meiner eigenen Konsequenz hat das übrigens bedeutet, dass ich meine persönlichen-aber-praktisch-gesehen-doch-selbstverkaufenden Darstellungen, die diesen Mechanismen zugespielt haben, vollständig zugunsten von diesem Blog hier aufgegeben habe. Alle diese Außendarstellungen landen jetzt hier – ich nutze mich selbst nicht mehr als Person für meine unternehmerische Darstellung, die ich in Zukunft halt meinen Unternehmungen überlasse3, sondern mache mein Blog zum Mittelpunkt.
Aber was kannst du machen?
Fang selbst an, ein persönliches Blog zu schreiben. Sei schräg und der ungeschliffene Diamant. Go full nerd für die Dinge, die dich begeistern. Schreib auf, was ungerecht ist. Beschreib, was du für richtig hältst. Tu Gutes und zeig es der Welt, egal für wie klein du es halten magst. Feier die Unterschiede, die Farben – und die Grautöne zwischen den Dingen. Ordne deine Gedanken. Erweitere die Welt um deinen Blickwinkel. Lade zum Austausch ein. Finde Freunde. Erschaffe Bedeutung. Sei Optimist:in!
Und nicht nur, wenn du gerade nicht die Prioritäten dafür setzen kannst: Lass Dinge bleiben.
Du kannst auf Social Media verzichten, auf die Twitters und Facebooks und LinkedIns und Tik Toks dieser Welt; vielleicht wenigstens auf die Werbung, auf die Selbstdarstellung, auf Hochglanz und glatt gebügeltes, auf die Wirklichkeitsverzerrungen und auf widerspruchsfrei und nur verstärkend, auf only feel good und aufregen.
Du kannst dich ganz bewusst dafür entscheiden, deine Lebenszeit nicht länger an manipulierende Algorithmen von Milliardär:innen zu verschenken, um ihr Spielball für ihre Echokammern und Weltvernichtungsmaschinerie zu sein, die darauf abzielen, dass du das nicht mitbekommst und so selbst nichts unternimmst.
Du kannst auch aufhören, das Internet von damals™ zu romantisieren und dich dafür zu feiern, wie du das, was daraus geworden ist, nur bemängelst und das als Status postest – und stattdessen laut überlegen, wie es sein sollte.
Und wenn du dann noch immer nicht selbst schreibst und Plattformen meidest: Zeig und biete Unterstützung für die an, die das Internet tatsächlich am Leben halten. Trag dich aus Newslettern aus und abonniere dafür Blogs. Schau dir die Welt an und nicht Produktvideos. Hör Menschen zu und nicht „Influencern“ oder „Brands“. Such die Ecken und Kanten und das Schöne und das Andere; finde die, mit denen du zusammen etwas tun kannst, um die Welt etwas besser zu machen.
So oder so: Übernimm mehr persönliche Verantwortung. Und Stück für Stück, Schritt für Schritt und in Summe von genug Menschen wird das Internet wieder ein schönerer Raum – und dann wieder, gar nicht so abwegig, auch die Welt.