FN 87: Gegnerische Kollaboration

Feldnotiz

Eine Kontroverse entsteht. Zwei Positionen verhärten sich. Was folgt, ist oft kein Diskurs, sondern Synchronisations-Theater. Ein Wettbewerb, dessen Ziel die Demontage der Gegenposition ist, nicht die Erkenntnis. Die Taktik ist universell: Wir fertigen eine Karikatur der anderen Seite an, widerlegen deren schwächstes Argument und erklären den Sieg.

Das ist ein Glitch in unserem Betriebssystem für Erkenntnisgewinn. Ein Status-Spiel, getarnt als Suche nach Wahrheit. Das Ergebnis ist vorhersagbar: Beide Seiten verlassen das Feld mit bestätigten Vorurteilen und einer tieferen Verachtung füreinander. Energie wird verbrannt, ohne dass sich das Lagebild auch nur um einen Millimeter schärft.

Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat diesen Glitch analysiert und eine Lösung formuliert, die in ihrer Essenz eine operative Doktrin ist: die gegnerische Kollaboration.

Das Manöver rotiert das Spielfeld. Die Kontrahent:innen ändern die Regeln des Spiels, nicht ihre Meinung. Statt sich zu widerlegen, entwerfen sie gemeinsam ein Experiment, um die Realität zu befragen. Die eigene Hypothese wird vom Territorium, das du verteidigst, zum Objekt, das du testest.

Dieser Ansatz ist auf strategische Effektivität kalibriert. Harmonie ist ein mögliches Nebenprodukt, niemals das Ziel. Es ist die Entscheidung, das eigene Ego einem präziseren Lagebild unterzuordnen. Die operative Frage wird zu: „Was ist wahr?“.

Ein Protokoll für dieses Manöver:

  • Gemeinsamer Frame: Du definierst mit deinem Gegenüber die Kernfrage, über die Uneinigkeit besteht, so präzise wie möglich.
  • Hypothesen als Objekt: Du formulierst deine Position als testbare Hypothese.
  • Gemeinsamer Test: Ihr entwerft zusammen einen Prozess, der die Hypothesen überprüfen kann. Wer wird befragt? Welche Daten stützen oder widerlegen die Annahme?
  • Schiedsrichter:innen: Falls nötig, benennt ihr eine dritte, neutrale Instanz für den Prozess.

Die Unfähigkeit oder der Widerwille, ein solches Protokoll in Betracht zu ziehen, ist selbst ein wertvoller Datenstrom. Er signalisiert, dass das eigentliche Ziel Status-Sicherung ist. Das Manöver der gegnerischen Kollaboration ist somit ein Diagnose-Werkzeug. Es deckt schonungslos den Unterschied zwischen Akteur:innen auf, die die Realität verstehen wollen, und denen, die nur ihre Position in ihr verteidigen.