FN 93-1: Die Anatomie der komplizierten Lösung (Teil 1 von 4)

Feldnotiz

Du bist für einen fundamentalen Glitch anfällig. Er manifestiert sich als kognitiver Engpass: Die verfrühte Fixierung auf eine Lösung verzerrt systematisch dein Verständnis des Problems. Jede Intervention, die daraus entsteht, ist der Versuch, eine Landschaft mit einer Karte zu navigieren, die du selbst fehlerhaft gezeichnet hast. Das Resultat ist eine Endlosschleife gut gemeinter Ineffektivität.

Die Qualität einer Lösung ist eine direkte Funktion der Tiefe des Problemverständnisses. Der Fokus verschiebt sich von der Jagd nach der besten Antwort zur präzisen Kartierung des Problemraums. Die operative Frage lautet: „Was ist die exakte Form der Leerstelle, die unsere Lösung füllen muss?“

Ein Blick in die Technologiegeschichte liefert ein hochauflösendes Modell für dieses Prinzip. Technische Evolution selektiert nicht zwangsläufig die überlegene Lösung. Sie favorisiert diejenige, die sich – oft durch eine Kette historischer Zufälle – frühzeitig einen Vorteil sichert und diesen durch positive Rückkopplungsschleifen (Increasing Returns) uneinholbar macht.

Dieses Phänomen verweist auf ein operatives Protokoll, das der Architekt Christopher Alexander als form-context-fit formulierte. Eine Lösung (Form) ist genau dann gut, wenn sie zum Problem (Kontext) passt. Die Implikation ist radikal: Eine passende Lösung ergibt sich aus dem tiefen Studium des Kontexts. Der Fokus gehört dem Problemraum.

Das Lösen eines Problems zweiter Ordnung gleicht dem Lösen eines Sudokus. Du analysierst die Einschränkungen, du kartierst den Kontext. Sobald alle Randbedingungen bekannt sind, wird die richtige Zahl zur zwingenden Konsequenz. Der Lösungsraum, der anfangs unendlich schien, kollabiert auf einen einzigen Punkt.

Dieser Wechsel von der Lösungsjagd zur Kontextkartierung ist der Standard für die komplizierte Domäne, in der etablierte Fachbereiche und Expert:innen nach bekannten Regeln operieren. Doch die meisten relevanten Probleme fallen nicht in diese Kategorie.


Dieser Text ist die erste von vier Feldnotizen zum Thema Die Domänen der Lösungen.