FN 97: Die „Es kommt darauf an“-Pathologie

Feldnotiz

Die Antwort „Es kommt darauf an“ ist fast immer wahr. In einer ausreichend komplexen Realität hängt alles von allem ab. Das macht die Aussage korrekt, aber als strategische Position wertlos. Sie ist die intellektuelle Kapitulation, getarnt als differenzierte Analyse.

In der Praxis ist diese Phrase selten ein Ausdruck von Weisheit. Sie ist ein Glitch. Ein diagnostisches Signal, das auf ein tieferliegendes Problem im Betriebssystem hinweist: die Externalisierung von Agency. Es ist der Versuch, die Verantwortung für eine Entscheidung an den Kontext abzugeben, in der Hoffnung, dass dieser eine Position überflüssig macht. Das ist die Architektur der verdampfenden Absicht.

Wir beobachten die Konsequenzen im Großen wie im Kleinen. Teams, die in endlosen Abstimmungen die Energie für eine einzige, klare Entscheidung verpulvern. Strategien, die als „jein“ verabschiedet und als „vielleicht“ umgesetzt werden. Das Resultat ist ein Machtvakuum, das unweigerlich von den Akteur:innen gefüllt wird, deren Agency nicht an Bedingungen geknüpft ist – oft jene mit der einfachsten, aber nicht zwingend der besten Antwort.

Die Flucht vor der Positionierung erzeugt oft ein weiteres Symptom: Die strategische Unwahrheit als soziales Schmiermittel. Aus Angst vor Reibung wird Klarheit vermieden. Eine Kultur, die Konfliktvermeidung priorisiert, macht die potenziell unbequeme Wahrheit unsprechbar.

Die souveräne Antwort auf Komplexität ist eine Position trotz der Umstände. Es ist die bewusste Entscheidung, eine Variable im System zu fixieren, um andere in Bewegung zu bringen. Das erfordert keine allumfassende Wahrheit. Es erfordert eine operative Wahrheit: eine Aussage, die präzise genug ist, um handlungsfähig zu machen, selbst wenn sie nicht alle denkbaren Eventualitäten abbildet.

Die Annahme, der Ausweg liege in „mehr Diplomatie“, ist selbst Teil der Pathologie. Der Hebel ist die Entwicklung einer kalibrierten Aufrichtigkeit – der Fähigkeit, die eigene Position klar zu formulieren und gleichzeitig die Komplexität des Terrains anzuerkennen. Die Absicht deiner Kommunikation verschiebt sich vom Rechthaben zur gezielten Wirkung. Das ist der Unterschied zwischen einem Kommentar zur Lage und einer Intervention im Feld.