FN 27: Das kultivierte Scheitern
Du hast die Beschwörungsformeln gehört: mehr Eigenverantwortung, eine bessere Feedback-Kultur, nahtlose Kollaboration. Sie sind die Artefakte zahlloser Strategie-Workshops. Doch im operativen Terrain verpuffen sie.
Der Glitch
liegt weniger im Inhalt der Ziele, sondern vielmehr in der Annahme, wir könnten Kultur wie ein Software-Update installieren. Das System, das du verändern willst, ist kein Mechanismus. Es ist ein Organismus. Und sein Immunsystem erkennt deine gut gemeinte Initiative als das, was sie ist: ein unautorisierter Patch. Es stößt ihn ab. Erfolgreich.
Die gescheiterte Initiative erscheint als Versagen des Plans, ist aber in Wahrheit ein Sieg des Immunsystems.
Der Autonomie-Test
Wir fordern Selbststeuerung, aber optimieren auf Gehorsam. Die gezähmte Autonomie, die wir kultivieren, ist ein Widerspruch in sich: Sei proaktiv, aber nur innerhalb der Grenzen unserer unausgesprochenen Erwartungen.
Die relevante diagnostische Frage ist nicht: „Wie fördern wir Eigenverantwortung?“. Sie lautet: „Welches Maß an produktivem Konflikt erträgt dieses System, wenn Menschen wirklich anfangen, für sich selbst zu denken?“. Die Antwort findest du nicht in Umfragen, sondern in den Beförderungsmustern der letzten drei Jahre. Sie ist meist ein klares Nein. So wird Initiative zur Störung deklariert, während ihr Mangel beklagt wird.
Kollaboration als Waffe
Die meisten Meetings sind kein Werkzeug der Kollaboration. Sie sind ein Schauplatz für Harmonie-Theater, auf dessen Bühne passiver Widerstand die eigentliche Währung ist. Die Abwesenheit von offenem Konflikt ist kein Zeichen für gute Zusammenarbeit. Es ist ein Symptom dafür, dass die eigentlichen Kämpfe woanders stattfinden – in verdeckten Kanälen und stillen Allianzen.
Kollaboration ist kein Zustand, sondern eine Konsequenz. Sie ist das Ergebnis eines Systems, in dem die Wahrheit gefahrlos auf den Tisch darf. Die operative Frage lautet daher: „Welche Struktur schützt den Überbringer der schlechten Nachricht vor dem System?“. Solange Interdependenz nicht über die KPIs von Einzelpersonen oder Abteilungen gestellt wird, bleibt jede Forderung nach „mehr Kollaboration“ ein zynischer Witz.
Der Container und sein Inhalt
Wir investieren in Trainings, um Fähigkeiten zu vermitteln. Das ist Lernen: das Füllen des Containers. Anpassungsfähigkeit entsteht aber erst durch Entwicklung: die Veränderung des Containers selbst.
Der entscheidende Hebel ist die Rotation der Perspektive. Der Fokus verschiebt sich von der Frage „Wie löse ich dieses Problem?“ zur Beobachtung „Welcher Teil von mir – welche Annahme, welche Angst, welche Loyalität – hält genau das Problem aufrecht, das ich zu lösen vorgebe?“.
Diese Fähigkeit, die eigene Landkarte zu betrachten, anstatt sie für das Terrain zu halten, ist für ein auf stabile Rollen geeichtes System zutiefst destabilisierend. Und genau deshalb der Punkt, an dem die Physik des Systems gekippt werden kann. Wir hören auf, an Symptomen zu kurieren, und fangen an, das Immunsystem zu rekalibrieren, das die Krankheit kultiviert.
Den Garten gestalten, nicht die Maschine ölen
Das Organigramm, die Prozesslandschaft, die Liste der Unternehmenswerte – das ist nicht deine Organisation. Es sind gefrorene Artefakte vergangener Entscheidungen. Die Landkarte. Nicht das Terrain.
Eine Organisation, die das verstanden hat, hört auf, ihre Artefakte zu polieren. Sie entwirft keine starren Pläne mehr, sondern schafft die Bedingungen, unter denen Intelligenz und Initiative gedeihen können. Der Fokus verschiebt sich von der Wartung der Maschine zur Gestaltung des Ökosystems.
Die finale Frage lautet: Wächst dein Garten? Oder pflegst du nur ein Museum für abgestorbene Pflanzen?