FN 28: Der Effizienz-Exploit
Der Ruf nach Effizienz ist dein bester Freund. Und dein gefährlichster.
Du kennst die Reibung. Die lähmende Wirkung sinnloser Bürokratie. Formulare, die ins Leere laufen; Genehmigungsschleifen, die Initiative ersticken. Die Ungeduld, die das in dir auslöst, ist real, legitim und eine präzise kalibrierte Waffe, die gegen dich gerichtet wird.
Deine Frustration ist kein Bug. Sie ist ein Feature. Das Einfallstor für einen Exploit
, der weit über die Optimierung von Abläufen hinausgeht. Das Manöver nutzt deine Sehnsucht nach reibungslosen Prozessen, um etwas fundamental anderes anzugreifen: die notwendige, schützende Komplexität eines Systems.
Was passiert, wenn die Forderung nach „Effizienz“ nicht mehr der Verbesserung eines Systems dient, sondern seiner Entkernung?
Das Muster ist global. Unter dem Vorwand, den Staat zu verschlanken, wird sein Apparat nicht gelähmt, sondern gekapert. Das Ziel ist nicht, ineffiziente Doppelstrukturen abzuschaffen. Das Ziel ist, jene „sinnvollen Redundanzen“ zu eliminieren, die wir als Checks and Balances kennen. Kontrollinstanzen, Aufsichtsgremien, Prüfverfahren – aus der Perspektive eines autoritären Operators sind das keine Schutzmechanismen. Es sind Reibungsverluste im Machtdurchgriff.
Der Nazi-Kronjurist Carl Schmitt formulierte das Prinzip für das 20. Jahrhundert: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand verfügt.“ Die Souveränität des 21. Jahrhunderts wird nicht mehr über den Ausnahmezustand deklariert, sondern über das Betriebssystem administriert. Die Absicht ist nicht die Machtübernahme innerhalb des Systems, sondern die Übernahme des Apparates selbst. Ein technokratischer Putsch, der unter dem Banner der Effizienz Fakten schafft, die parlamentarisch nicht mehr zu kontrollieren sind.
Die Implikation ist die Installation eines unumkehrbaren Glitches
. Eines Betriebssystems, dessen Kernfunktion die Abwehr von Rechenschaftspflicht ist.
Wo also wird deine eigene, legitime Ungeduld mit dem Status quo zur Einladung für jene, die nicht optimieren, sondern liquidieren wollen? An welchem Punkt kippt der Wunsch nach weniger Bürokratie in die Bereitschaft, auf schützende, rechtsstaatliche Garantien zu verzichten, nur damit „endlich etwas vorangeht“?
Die eigentliche Verteidigung findet nicht im Kampf gegen äußere Feinde statt. Sie fängt in der bewussten Kultivierung der Geduld für die notwendigerweise umständlichen, aber schützenden Prozesse eines freien Systems an. Diese Haltung ist keine Abstraktion. Sie manifestiert sich in drei konkreten Manövern:
- Verteidige die nützliche Reibung. Entwickle die Fähigkeit, strategische Resilienz von blinder Redundanz zu unterscheiden. Rahme Checks and Balances neu: Nicht als „Bürokratie“, sondern als das, was sie sind – die Firewall eines freien Systems.
- Fordere die Logik ein. Behandle Blackbox-Entscheidungen als das, was sie sind: eine Machtdemonstration. Wenn ein Prozess durch eine KI oder ein technokratisches Verfahren „effizienter“ gemacht wird, muss seine Logik transparent, überprüfbar und anfechtbar sein. Die Weigerung, die Logik offenzulegen, ist das Eingeständnis einer verdeckten Agenda.
- Orchestriere die Verteidigung im Terrain. Verlasse die Meta-Diskussion. Wenn ein lokales Kontrollgremium abgeschafft, eine öffentliche Anhörung „gestrafft“ oder eine Aufsichtsbehörde als „Blockierer“ diffamiert wird, findet dort der Angriff statt. Dort muss die Verteidigung ansetzen. Nicht abstrakt, sondern im konkreten Fall.
Die Frage ist nicht, ob du für oder gegen Effizienz bist. Sondern: Bist du bereit, die notwendige Komplexität eines freien Systems zu verteidigen, selbst wenn es dich Geduld kostet?