Kitsch as Kitsch can?
25/11
„Kitsch ist Kunst, die keine Reibung erzeugt.“
Kitsch ist eine glatte Oberfläche, an der unser Erleben abperlt, ohne uns zu verändern. Er bestätigt, was wir bereits fühlen und denken, und liefert uns eine vorgefertigte, leicht verdauliche Emotion. Es ist eine Kunst, die uns in unserem So-Sein bestätigt, anstatt uns herauszufordern, uns zu entwickeln.
In der Formulierung „keine Reibung“ schwingt für mich die Idee der Resonanz von Hartmut Rosa mit. Kitsch erzeugt ein Echo, kein resonantes Verhältnis. Ein Echo wirft uns nur unser eigenes Rufen zurück, während Resonanz eine wechselseitige Beziehung ist, in der beide Seiten, Werk und Betrachter:in, sich verwandeln und „antworten“.
Kitsch spricht nicht zu uns, er plappert uns nach. Er ist die Simulation einer tiefen Erfahrung, wie Jean Baudrillard es vielleicht nennen würde – ein Simulakrum, das den Anschein von Tiefe erweckt, aber bei näherer Betrachtung hohl ist.
Kunst, die Reibung erzeugt, tut das Gegenteil. Sie stellt unsere gewohnten Deutungsmuster infrage. Sie zwingt uns, unsere inneren Systeme neu zu ordnen, um das Dargestellte integrieren zu können. Sie schafft eine heilsame Verunsicherung. In den Worten Robert Kegans: Sie hilft uns, das, was für uns bisher Subjekt war, also die Brille, durch die wir die Welt sehen, zu einem Objekt zu machen, also etwas, das wir betrachten und reflektieren können.
Kitsch dient der Stabilisierung unseres aktuellen Systems. Kunst mit Reibung dient seiner Transformation. Sie ist ein Motor für vertikale Entwicklung, während Kitsch bestenfalls horizontales Lernen innerhalb der eigenen Bedeutungskonstruktion ermöglicht. Er füllt unseren Behälter, aber er erweitert ihn nicht.
Dabei hat auch das Reibungslose seine Berechtigung. Es kann ein Ort des Ausruhens sein, eine bewusste Entscheidung für die Einfachheit in einer komplexen Welt. Die Frage, die sich mir dabei stellt, ist nicht, ob Kitsch gut oder schlecht ist, sondern welche Funktionen er für uns in einem bestimmten Moment erfüllt.
Für wen erzeugt Kitsch keine Reibung?
Kitsch als Kunst, die keine Reibung erzeugt, geht von Betrachter:innen aus, die bereits eine gewisse Distanz und ein Bewusstsein für ästhetische und emotionale Komplexität haben. Für jemanden, dessen Identität stark mit einer Gruppe und deren Werten verwoben ist, kann Kitsch sehr wohl Reibung erzeugen, aber auf andere Weise.
Der Porzellanengel ist vielleicht kein intellektueller Störfaktor, aber er ist ein starkes Symbol der Zugehörigkeit. Ihn als „Kitsch“ zu bezeichnen, würde massive soziale und emotionale Reibung erzeugen, weil es die gemeinsamen Werte und die Identität der Gruppe infrage stellt. Die Reibungslosigkeit ist also nicht absolut, sondern relativ zur Bedeutungskonstruktion der Betrachter:innen.
Die Reibung der Reibungslosigkeit?
Kann die Abwesenheit von Reibung nicht selbst zur größten Reibung werden? Wenn wir uns in einer Phase unseres Lebens nach Tiefe, nach Transformation sehnen, kann die allgegenwärtige glatte Oberfläche des Kitsches unerträglich werden. Sie reibt an deinem Bedürfnis nach Authentizität und Wachstum. Die wahrgenommene Leere und das „Zu-Einfache“ werden zum Stachel.
Es ist wie die Stille in einem leeren Haus, die lauter sein kann als jeder Lärm. Die Reibung entsteht dann nicht im Werk, sondern in der schmerzhaften Diskrepanz zwischen dem Angebot des Werkes und dem eigenen Hunger.
Kontext als Reibungs-Generator?
David Chapman würde vermutlich auf die fließenden Grenzen und die Bedeutung des Kontexts hinweisen. Ein kitschiger Gartenzwerg im Vorgarten erzeugt keine Reibung. Derselbe Gartenzwerg, allein in der Mitte einer minimalistischen Kunstgalerie platziert, erzeugt immense intellektuelle Reibung. Er zwingt uns, über die Grenzen von Kunst, Geschmack, Ironie und Wert nachzudenken.
Das Objekt ist dasselbe, aber der Rahmen hat es von einem reibungslosen zu einem hochgradig reibungsvollen Objekt transformiert. Ist Kitsch also eine Eigenschaft des Objekts selbst oder eine Funktion seiner Beziehung zum Kontext?
Die Funktion des Puffers?
Aus einer metasystematischen Perspektive erfüllt jedes Element in einem System eine Funktion. Welche Funktion erfüllt Kitsch? Vielleicht ist seine Aufgabe gerade, Reibung zu reduzieren in einer Welt, die von Komplexität und Ambiguität überladen ist. Er ist ein bewusst oder unbewusst gewählter Puffer, ein emotionaler Schutzraum.
Das Herstellen dieses Schutzraumes ist selbst eine komplexe Leistung. Ihn als reibungslos abzutun, ignoriert die Komplexität der Bedürfnisse, die er befriedigt. Es ist eine Form der Komplexitätsreduktion, die aber auf eine komplexe Weise funktioniert.
Wenn ich diese Punkte zusammennehmen, würde ich also die ursprüngliche These modifizieren:
Kitsch ist der Versuch, eine Erfahrung ohne Reibung zu schaffen.
Ob dieser Versuch gelingt oder ob er, durch seinen Kontext, die Sehnsucht des Betrachters oder seine schiere Glattheit, erst recht eine neue, andere Art von Reibung erzeugt, ist eine offene Frage.
Die Reibung entsteht also vielleicht weniger im Objekt selbst als vielmehr in der Beziehung, die wir zu ihm aufbauen. Was passiert, wenn wir die Frage umkehren: Welche Art von Reibung erzeugt die Kategorisierung von etwas als „Kitsch“ in uns?
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Der wunderbare Artikel „the occasional art report“ von Celin Nguyen hat mich zu diesem Journal-Eintrag inspiriert.