PR 26: Protokoll gegen die Bestechung deines Systems

Protokoll

„Wie bringe ich Informationen so ins Team, dass sie umgesetzt werden?“
„Wie schaffe ich die nötigen Anreize?“

Das ist die Stimme des Glitches. Sie klingt vernünftig, pragmatisch und lösungsorientiert und basiert auf einem unterkomplexen Modell, das in der Realität scheitert und dich frustriert zurücklässt.

Die Annahme, Menschen seien nicht motiviert, ist ein fundamentaler Irrtum. Menschen sind immer motiviert. Die operative Frage ist nicht ob, sondern warum. Dein Team ist kein passiver Container. Es ist ein komplexes System mit einem eigenen Immunsystem und einem stabilen Gleichgewichtszustand – auch wenn dieser dysfunktional ist. Jede neue Information von außen ist ein Fremdkörper. Das System reagiert darauf mit einer Abstoßungsreaktion.

Die Glitch-Frage nach „Anreizen“ ist der Versuch, dieses Immunsystem zu bestechen. Du bietest ihm Zucker an (Bonus, Lob), damit es die Pille der Veränderung schluckt. Das ist motivationales Junk-Food. Es erzeugt bestenfalls kurzfristige Compliance, aber niemals tiefgreifendes Commitment. Langfristig führt es zu einer Inflation der Anreize und züchtet ein System von Söldner:innen. Das ist suboptimale Motivation, die auf externem Druck basiert und die Energie, Vitalität und das Wohlbefinden zerstört, die für nachhaltige Leistung notwendig sind.

Ein Operator verändert die Systemarchitektur so, dass das gewünschte Verhalten der energetisch günstigste Zustand wird. Das Ziel ist die Kultivierung optimaler Motivation, die aus der Erfüllung von drei psychologischen Grundbedürfnissen entsteht: Wahlfreiheit und Autonomie, Verbundenheit und Sinn sowie Kompetenz und Meisterschaft.

Das Protokoll

1. Diagnose der Abstoßungsreaktion: die Immunität gegenüber Veränderung

Wenn eine Initiative versickert, ist das kein Umsetzungsfehler, sondern ein erfolgreicher Akt der Selbstverteidigung des Systems. Das System schützt sich vor einer Veränderung, die seine verborgene, innere Logik bedroht. Die operative Frage lautet: „Wovor genau schützt sich das System mit dieser Nicht-Umsetzung?“ Du deckst die verborgene Loyalität auf – die Competing Commitments, die das System im Gleichgewicht halten. Das Nichtstun ist fast immer die intelligentere, weil system-stabilisierende, Option für die Beteiligten. Erst wenn du diese verborgene Landkarte verstehst, kannst du die richtigen Hebel identifizieren.

2. Kartierung der realen Kosten: das Status-Spiel

Die wahren Kosten der Veränderung sind unsichtbar. Wir konkurrieren unbewusst und unablässig um unseren Rang. Die wahren Kosten sind oft ein drohender Statusverlust, Identitätskrisen, die Angst vor Inkompetenz oder die Zerstörung informeller Machtstrukturen. Ein „agiles Framework“ einzuführen, bedroht nicht nur einen Prozess, es bedroht die Existenzberechtigung des Projektmanagers, der seinen Status aus der Kontrolle von Gantt-Charts bezog. Ein monetärer Anreiz wird diesen drohenden Statusverlust niemals aufwiegen. Kartiere diese verborgenen Kosten und du verstehst die wahre Topografie deines Operationsgebiets.

3. Der Minimal Viable Exploit: der größtmögliche Hebel

Renne nicht mit der gesamten Armee gegen die Festungsmauer. Die wirksamsten Interventionen, die höchsten Leverage Points, sind oft die subtilsten. Ein Minimal Viable Exploit ist die kleinste, fast unsichtbare Intervention, die eine unumkehrbare Veränderung im System auslöst, weil sie dessen Regeln oder Ziele verändert.

  • Ändere eine einzige Kennzahl, auf die alle schauen.
  • Ändere die Sitzordnung in einem entscheidenden Meeting.
  • Gib einer Person mit informeller Autorität eine neue, sichtbare Verantwortung, die im Widerspruch zum alten System steht.

Du willst keine Revolution. Du willst einen winzigen Code-Schnipsel injizieren, der das Betriebssystem von innen heraus rekompiliert.

4. Die Kunst des Fragens: die Evokation des Veränderungsgespräches

Deine Aufgabe ist die Evokation der Lösung, nicht ihre Vorgabe. Du agierst als Katalysator, um die eigene Motivation und Selbstverpflichtung für eine Veränderung zu stärken. Anstatt zu überzeugen, stellst du Fragen, die Veränderungsgespräche hervorrufen – Aussagen der Beteiligten, die eine Bewegung in Richtung Veränderung signalisieren.

  • „Angenommen, diese Veränderung würde gelingen, was wären die besten denkbaren Ergebnisse?“
  • „Was gibt Ihnen die Zuversicht, dass Sie diesen Schritt meistern könnten?“
  • „Wie wichtig ist Ihnen das auf einer Skala von 0-10?“

Du schaffst die Bedingungen, unter denen das System seine eigenen Lösungen findet.

5. Protokoll zur Triage: wann dieses Protokoll versagt

Dieses Protokoll ist für Systeme konzipiert, deren Akteur:innen grundsätzlich fähig und willens sind, aber durch systemische Kräfte blockiert werden. Es versagt oder muss modifiziert werden, wenn eine der folgenden Bedingungen zutrifft:

  • Fundamentale Inkompetenz: Die Nicht-Umsetzung ist kein Akt der Abwehr, sondern schlichtes Unvermögen. Die Diagnose lautet hier nicht Immunität gegenüber Veränderung, sondern Lücken in der Fähigkeit. Die Intervention ist Training oder Neubesetzung, nicht systemische Chirurgie.
  • Aktive, böswillige Sabotage: Die Nicht-Umsetzung dient nicht dem Schutz einer verborgenen Loyalität, sondern dem bewussten Ziel, Schaden anzurichten. Das ist kein Fall für Systemtheorie, sondern für die nachrichtendienstliche Abwehr (Counterintelligence).
  • Vollständige Ressourcen-Erschöpfung: Das System wehrt sich nicht, es ist schlicht am Ende seiner Kapazität. Jede weitere Initiative, egal wie sinnvoll, führt zum Kollaps. Die einzige Intervention hier ist die radikale Reduktion von Last.

Die souveräne Handlung ist, die Illusion der Kontrolle aufzugeben. Umsetzung ist eine Konsequenz von präziser, systemischer Chirurgie, die auf die Kultivierung optimaler Motivation abzielt.

Deine Aufgabe ist nicht, lauter zu rufen, sondern die Aktivierungsenergie für die gewünschte neue Ordnung so radikal zu senken, dass der alte Zustand energetisch ungünstiger wird.