PR 39-3: Protokoll der Mimesis und des Status: Gestaltung (Teil 3 von 3)

Protokoll

Das vorhergehende Protokoll zur Kartierung und das Protokoll zur Navigation haben dir das Nachtsichtgerät und die taktische Ausrüstung für den Einzelnen geliefert. Dieses Protokoll liefert die Doktrin der System-Architekt:innen. Es ist die Kunst, die Spielregeln selbst zu verändern, um Umgebungen zu schaffen, in denen destruktive Statusangst und mimetische Rivalität systematisch verhungern.

Wir nutzen hierfür das Framework der Deliberately Adaptive Organisation (nach Burrows), das eine Organisation als ein lebendes System aus drei interagierenden Räumen versteht. Deine Aufgabe als Architekt:in ist es, in jedem Raum die richtigen Bedingungen zu schaffen.

Raum 1: Delivering-Discovering-Renewing (das operative Feld)

Das ist der Raum des „Hier und Jetzt“, in dem Wertschöpfung stattfindet. Hier manifestieren sich Freshmanistan-Rivalitäten als Reibungsverluste und Effizienzkiller.

Protokoll 11: Fokus auf Outcome erzwingen

  • Intervention: Implementiere eine „Right to Left“-Orientierung (Burrows). Die Konversation und die Belohnungssysteme orientieren sich ausschließlich am Ende der Wertschöpfungskette: dem messbaren Outcome.
  • Mechanismus: Der Outcome wird zum einzigen relevanten Engpass des Systems (Goldratt). Jede Aktivität ist ihm unterzuordnen. Ein in einer Tugend-Schleife gefangenes Team muss seine Existenz am gelieferten Wert rechtfertigen. Die Kopplung von Status an simulierten Erfolg wird durchbrochen; er wird direkt an den realen gekoppelt.
  • Wirkung: Mimetische Rivalität um vorgelagerte Ressourcen wie Budgets oder Projektstarts wird strukturell irrelevant. Die nachweisliche Erzeugung von Outcome wird zur einzig validen Spielmechanik für den Status-Erwerb.

Protokoll 12: Status-Monopole durch dynamische Teambildung brechen

  • Intervention: Destabilisiere starre Teamstrukturen, die zu festgefahrenen Status-Hierarchien führen. Nutze die Muster des Dynamic Reteaming (Helfand) wie Grow and Split oder Merging.
  • Mechanismus: Etabliere einen regelmäßigen, aber unvorhersehbaren Austausch von Teammitgliedern zwischen Projekten. Ein:e Entwickler:in aus Team A, der oder die für drei Wochen in Team B arbeitet, importiert neue Perspektiven und bricht die mimetische Homogenität auf. Es zerstört die Illusion, Status sei an eine Position gebunden.
  • Wirkung: Status wird fluider und muss immer wieder neu durch Kompetenz und Kooperation verdient werden. Die Bildung von Status-Festungen wird strukturell erschwert.

Raum 2: Adaptive Strategising (das strategische Cockpit)

Das ist der Raum, in dem die Zukunft entworfen wird. Hier nistet sich die mimetische Kopie von Rival:innen als „Strategie“ ein.

Protokoll 13: mimetische Prognosen durch antifragile Optionen ersetzen

  • Intervention: Verbiete die traditionelle strategische Planung, die auf der Vorhersage der Zukunft und der Imitation von „Best Practices“ basiert – eine reine Mimesis-Übung.
  • Mechanismus: Die Strategieentwicklung muss dem Prinzip der Antifragilität (Taleb) folgen. Statt eines Plans, der bei unvorhergesehenen Ereignissen bricht, baue ein Portfolio von Optionen, das von Volatilität profitiert. Nutze das Cynefin-Framework (Snowden), um zu unterscheiden:
    • In komplizierten Domänen: Analysiere und optimiere.
    • In komplexen Domänen: Führe sichere, kleine Experimente durch, um das System zu provozieren und Muster zu erkennen. Handle aufgrund der Reaktion des Systems auf deine Sonden.
    • Wirkung: Die Organisation hört auf, die Züge ihrer Rival:innen zu kopieren, und beginnt, ihre eigenen zu entwickeln. Mimetische Reaktivität wird durch strategische Souveränität ersetzt.

Raum 3: Mutual Trust Building (das Nervensystem)

Das ist der entscheidende, oft unsichtbare Raum, der die operative und strategische Ebene verbindet. Ein Mangel an Vertrauen ist der primäre Nährboden für Dominanz-Spiele.

Protokoll 14: Dialog statt Debatte institutionalisieren

  • Intervention: Zerstöre die Kultur der Debatte, die ein Dominanz-Spiel zur Durchsetzung von Positionen ist. Implementiere die Protokolle des Dialogs (Isaacs/Bohm).
  • Mechanismus: Etabliere feste Formate, in denen die Regeln des normalen Geschäftsbetriebs ausgesetzt sind. In diesen Formaten gelten drei Meta-Regeln:
    1. Suspendieren: Eigene Annahmen werden als Hypothesen in den Raum gestellt.
    2. Zuhören: Das Ziel ist, die Perspektive des anderen vollständig zu verstehen.
    3. Gemeinsames Denken: Es wird nicht nach einem Kompromiss gesucht, sondern nach einer neuen, dritten Perspektive, die aus dem Verständnis aller Positionen entsteht.
  • Wirkung: Das System lernt, über sich selbst nachzudenken. Verborgene Annahmen und mimetische Konflikte werden sichtbar und verhandelbar. Dies ist Intelligence Analysis, angewandt auf das eigene System.

Protokoll 15: Resonanz durch radikale Kontextualisierung schaffen

  • Intervention: Bekämpfe die Entfremdung, die der Nährboden für zynische Status-Spiele ist. Die Intervention zielt auf Resonanz (Rosa): eine „schwingende“, antwortende Beziehung zwischen Individuum und Organisation.
  • Mechanismus: Nutze das Konzept der „doppelten Verknüpfung“ (Burrows/Beer). Jede operative Einheit entsendet eine:n Leiter:in „nach oben“ und wählt eine:n Delegierte:n, der oder die die Perspektive des Teams in der nächsthöheren strategischen Ebene vertritt. Gleichzeitig wird eine Person aus der strategischen Ebene als „Gast“ in die operative entsandt.
  • Wirkung: Es entsteht ein permanenter, multidirektionaler Fluss von Kontext. Strategische Entscheidungen werden nicht mehr als Befehle wahrgenommen, sondern als nachvollziehbare Züge. Die Statusangst aus dem Gefühl der Machtlosigkeit weicht dem Gefühl der Teilhabe und Wirksamkeit.

Zusammenfassung: die Haltung des System-Architekten

Die Anwendung dieser Protokolle erfordert eine spezifische Haltung:

  1. Übe dich in der Haltung der Gärtner:innen. Du pflanzt Samen (Interventionen), schaffst die richtigen Bedingungen (Strukturen) und beobachtest, was wächst. Du kannst Wachstum nicht erzwingen (Gall).
  2. Respektiere die Komplexität. Dein Ziel ist nicht Kontrolle, sondern die Erhöhung der Anpassungsfähigkeit (Agency) des Systems. Du weißt, dass du nicht alle Variablen steuern kannst.
  3. Erkenne dich als Teil des Systems. Die höchste Form der Meisterschaft ist die Fähigkeit, die eigene Rolle und das eigene Paradigma als gestaltbare Variable im System zu sehen. Deine wichtigste Intervention ist oft deine nicht-reaktive Präsenz. Du bist die ausgleichende Schleife.

Diese Doktrin ist kein finaler Bauplan. Sie ist das Betriebssystem für einen kontinuierlichen Prozess der Zerstörung und Schöpfung (Boyd). Sie ist die Arbeit, ein System zu schmieden, das nicht nur überlebt, sondern gedeiht – nicht trotz, sondern wegen der unerbittlichen Realität menschlicher Natur.


Dieser Text ist das dritte von drei Protokollen zum Thema Mimesis und Status.