In den gläsernen Türmen der Spätmoderne vollzieht sich eine merkwürdige Transformation. Die neuen Herrscher:innen des Kapitals sprechen nicht mehr die Sprache roher Akkumulation. Sie meditieren. Sie zitieren buddhistische Weisheiten. Sie erschaffen „psychologisch sichere Räume“ und predigen die Transformation von innen. Ihre Autobiografien lesen sich wie Handbücher zur Selbstverwirklichung, garniert mit Quartalsberichten.

„For the Love of God“ (Damien Hirst, 2007)„For the Love of God“ (Damien Hirst, 2007)

Es ist verführerisch, in diesen Narrativen den Beweis für eine Evolution des Bewusstseins zu sehen – eine Avantgarde, die das System von innen heraus transformiert. Doch eine nüchterne, post-zynische Analyse offenbart eine weitaus komplexere und beunruhigendere Wahrheit.

Betrachten wir einen prototypischen Fall: Ein Unternehmer baut acht separate Milliarden-Dollar-Unternehmen. Er spricht von „Problemen als Freunden“, von der Schaffung einer Kultur, in der „wir die Konkurrenz töten, nicht uns gegenseitig“. Er meditiert täglich, praktiziert kognitive Verhaltenstherapie, und seine Meetings enden mit Dankbarkeitsübungen im Kreis. Seine Mitarbeiter erhalten großzügige Aktienoptionen, gesperrt für fünf Jahre, um langfristiges Denken zu fördern.

Oberflächlich betrachtet: ein leuchtendes Beispiel für die Integration von Weisheit und Wirtschaft. Bei genauerer Betrachtung: die Perfektionierung eines Werkzeugkastens. Diese Praktiken funktionieren. Sie funktionieren außerordentlich gut. Aber: Wofür funktionieren sie?

Der Spätkapitalismus hat eine bemerkenswerte Fähigkeit entwickelt: Er absorbiert jede Kritik, jede spirituelle Praxis, jede psychologische Einsicht und verwandelt sie in einen Wettbewerbsvorteil. Was als Befreiung beginnt, endet als Optimierung.

Eine „psychologisch sichere“ Unternehmenskultur ist nicht primär ein ethischer Selbstzweck. Sie ist, unter den Bedingungen der Wissensökonomie, schlicht effizienter. Mitarbeiter, die sich sicher fühlen, teilen Informationen schneller. Sie bleiben länger. Sie arbeiten härter, nicht weil sie müssen, sondern weil sie wollen. Das ist keine Transformation des Systems – es ist seine Perfektionierung.

Ein Borg-Kubus nähert sich der Erde (Star Trek: The Next Generation)Ein Borg-Kubus nähert sich der Erde (Star Trek: The Next Generation)

Die Meditation am Morgen, die den Geist weitet „vom Atom bis zum Multiversum“, endet nicht in einer Neuausrichtung der Prioritäten. Sie endet in einem schärferen Fokus auf Quartalsziele. Die Fähigkeit, Paradoxien zu halten, wird nicht genutzt, um die Logik der Akkumulation zu hinterfragen, sondern um sie geschickter zu navigieren.

Hier liegt der Kern der Täuschung: Die kognitive Struktur mag hochentwickelt sein – die Fähigkeit, Systeme zu analysieren, Widersprüche zu synthetisieren, metasystematisch zu denken. Doch die Bedeutungskonstruktion, die mit dieser Struktur erschaffen wird, bleibt konventionell verhaftet.

Es ist der Unterschied zwischen Großmeister:innen, die Schach auf einem Niveau spielen, das für Normalsterbliche unbegreiflich ist, und jemandem, der fragt: „Warum spielen wir eigentlich Schach?“

Die erleuchteten Milliardär:innen sind die Großmeister:innen. Sie haben die Regeln des Spiels so tief verinnerlicht, dass sie sie transzendiert zu haben scheinen. Aber sie haben nur gelernt, sie meisterhaft zu beherrschen. Die Frage nach dem Spiel selbst, nach den Externalitäten, den Verdrängten, den Kosten, die andere zahlen, bleibt ungestellt.

Frenetische Börsenhändler am Trading FloorFrenetische Börsenhändler am Trading Floor

Die subtilste Form der Gefangenschaft ist die, die sich als Freiheit tarnt. Wer bestimmt, was „Erfolg“ bedeutet? In welchem Spiegel sehen sich die Milliardär:innen, wenn sie morgens aufwachen?

Die Antwort ist: im Spiegel ihrer Peer-Group. Die anderen CEOs. Die Investor:innen. Die Ikonen. Das Streben ist nicht mehr primitiv – „Ich will mehr Geld als mein Nachbar.“ Es ist raffiniert – „Ich will der:die legendärste Spieler:in in einem Spiel sein, das von den klügsten Menschen der Welt respektiert wird.“

Das ist „high-level mimetisches Denken“: Die Abhängigkeit von der Anerkennung durch ein System, dessen Spitze man selbst darstellt. Es ist ein goldener Käfig, gebaut aus Bewunderung und Bestätigung. Und er ist umso schwerer zu verlassen, je komfortabler er ist.

Die ultimative Bedeutungskonstruktion wäre das Reframing des gesamten Projekts. Nicht: „Wie optimiere ich meine Organisation?“ Sondern: „Welche Welt erschaffe ich durch mein Handeln, und ist das die Welt, in der ich leben will?“

Diese Frage wird nicht gestellt. Stattdessen: „Trends jagen“, „Probleme als Chancen“, „den Wettbewerb abhängen“. Alles reaktiv. Alles opportunistisch. Alles innerhalb der bestehenden Logik.

Die Werkzeuge der Selbstreflexion werden auf die Prozesse angewendet, nicht auf das fundamentale Projekt selbst. Man meditiert, um besser zu führen. Man therapiert, um Perfektionismus zu überwinden, der der Effizienz im Weg steht. Man schafft eine bessere Kultur, um die Konkurrenz zu schlagen. Das ist keine Transformation, sondern Wartung.

Wenn Richard Morgans Altered Carbon wahr würde, wenn Bewusstsein digitalisiert, Körper austauschbar und Unsterblichkeit käuflich wird, dann würden die erleuchteten Milliardär:innen die ersten sein, die sich hochladen lassen. Nicht aus Angst vor dem Tod, sondern aus Liebe zum endlichen Spiel.

Der „Cortical Stack“ aus „Altered Carbon“ (Screenshot: Netflix-Serie)Der „Cortical Stack“ aus „Altered Carbon“ (Screenshot: Netflix-Serie)

Bis dahin gilt: Misstraue den Heilsversprechen von denen, die das System perfektioniert haben. Ihre Weisheit ist real, aber sie dient einem konventionellen Zweck. Ihre Meditation ist echt, aber sie endet in der Optimierung. Ihre Kultur ist menschlich, aber sie ist ein Werkzeug.

Sie belügen sich selbst – geschützt durch ein Narrativ, das so überzeugend ist, dass es den letzten, schmerzhaftesten Schritt der Selbstreflexion überflüssig macht: die Erkenntnis, dass man nicht Transformator:in ist, sondern Perfektionator:in.

Das System wird nicht optimiert. Es wird vollendet. Und in dieser Vollendung liegt seine größte Gefahr: Es wird unsichtbar. Es tarnt sich als Weisheit. Es spricht die Sprache der Befreiung, während es die Ketten neu schmiedet – leichter, eleganter, bequemer.

Die erleuchteten Milliardär:innen sind keine Bösewichte im gewöhnlichen Sinne. Sie sind Symptome. Und das macht sie gefährlicher als jede:r Antagonist:in, die Morgan sich hätte ausdenken können.

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